Blue Wonder Jazzband spielt Ellington & Morton - 2002
» 01 Grandpa's Spells» 02 Kansas City Stomp
» 03 Sidewalk Blues
» 04 The Chant
» 05 Original Jelly Roll Blues
» 06 Cannon Ball Blues
» 07 Black Bottom Stomp
» 08 East St Louis Toodle-Oo
» 09 The Creeper
» 10 Black And Tan Fantasie
» 11 Jungle Nights In Harlem
» 12 The Mooche
» 13 Birmingham Breakdown
» 14 Caravan
» 15 Echoes Of Harlem
» 16 Rockin' In Rhythm
» Blue Wonder Jazzband spielt Ellington & Morton 2002 Album
Studioaufnahmen: 6.4.2002 (9, 10, 12), 7.4.2002 (3,14), 13.4.2002 (2, 6, 8), 14.4.2002 (1, 4), 23.4.2002 (5, 13), 25.5.2002 (7, 11, 15, 16)
Begleittext
Liebe Jazzfreunde!
Kompositionen von Jelly Roll Morton (1885-1941) und Duke Ellington (1899-1974) stehen schon lange im Mittelpunkt unseres Repertoires. Es lag also nahe, die von uns am häufigsten und am liebsten gespielten Titel dieser beiden Jazzgrößen auf unserer nunmehr fünften CD zu vereinen. Die vorliegende Scheibe ist zugleich unsere erste "thematische".
Morton und Ellington sind wahre Giganten des Jazz. Während Morton Mitte bis Ende der zwanziger Jahre seinen künstlerischen Höhepunkt erreichte, entstanden in dieser Zeit gerade die ersten Orchesteraufnahmen des 14 Jahre jüngeren Duke Ellington. Beide prägten in ihrer Zeit die Jazzentwicklung und brachten neue Elemente in den Jazz ein. Sie komponierten viele Titel, die heute als Marksteine des Jazz gelten und in allen Stilrichtungen dieser Musik immer wieder aufgegriffen werden.
Morton - er gilt als Vater des Hot-Klavierjazz - maß dem Arrangement zunehmend größere Bedeutung bei. Im Vergleich zum frühen New Orleans Jazz, wo nach einem kurzen Vorstellen des Themas vorwiegend kollektiv improvisiert wurde, schrieb Morton große Teile eines Titels als Arrangement auf, und der Solist bekam größeres Gewicht als früher.
Bei Ellington wurde der Klang des Orchesters zum musikalischen Ausdrucksmittel. Das Thema einer Komposition rückte noch mehr in den Mittelpunkt. Wenn man Ellington spielt, fühlt man selbst die faszinierende Wirkung des Themas und spürt zugleich, wie sich diese Faszination auf das Publikum überträgt. Ellington erfand den "Jungle"- und "Mood"-Stil, arbeitete viel mit "Growl"-Effekten und führte zum Beispiel durch Suiten die große musikalische Form in den Jazz ein. Dabei ist zu betonen, daß viele Neuerungen und auch Kompositionen Ellingtons eigentlich kollektive Leistungen seines Orchesters waren bzw. in enger Zusammenarbeit mit einzelnen Orchestermitgliedern entstanden. Duke Ellington trug durch seine weltweiten Tourneen, seine Konzerte in der Carnegie-Hall in New York City, seine "Sacred Concerts" und nicht zuletzt durch seine zahlreichen Schallplattenaufnahmen dazu bei, daß der Jazz salonfähig wurde.
Der bekannte amerikanische Musikwissenschaftler Alan Lomax schrieb: "Den anhaltenden Ruhm des Jelly Roll Morton haben zweifelsfrei die Aufnahmen seiner 'Red Hot Peppers' vom 15. September 1926 bis zum 10. Juni 1927 bewirkt. Diese klassischen Jazz-Perlen finden sich in nahezu jeder Plattenzusammenstellung. Ihre Komplexität ist auch immer wieder faszinierend .... " Die "Red Hot Peppers" existierten mit wechselnden Besetzungen bis 1930. Die Aufnahmen dieser Band dienten uns als Vorbilder für unsere Spielauffassung, und alle auf der vorliegenden CD enthaltenen Morton-Titel (außer Nr. 5) gehören zu den 1926/27 in Chicago eingespielten. Entstanden sind diese Kompositionen teilweise viel früher. Erste Aufnahmen eines Teiles von ihnen wurden 1923/24 als Piano-Solo auf den "Piano-Rollen" aufgezeichnet.
Der 1923 entstandene, Ragtime-ähnliche Grandpa's Spells ist einer der schnellen Stomps Mortons. Lutz, unser Pianist, versucht hier, Jelly Rolls Chorus sehr nahe zu kommen, und Jockel meistert bei voller Konzentration sogar die Einzelsaiten Banjo-Einleitung, was nicht immer - aber immer öfter - gelingt.
Der 1919 komponierte Kansas City Stomp bezieht sich auf die Bar gleichen Namens in Tijuana. Bei der Aufnahme dieses Titels 1928 mit den "Red Hot Peppers" spielte der 1905 geborene Tommy Benford das Schlagzeug. Und eben dieser Tommy Benford schrieb 1980 während des Internationalen Dixieland Festivals in Dresden auf meine große Trommel sein Autogramm. Dietmar, unser Tubist, meistert bravourös die kurzen Solotöne dieses Werkes und aalt sich dann genüßlich in den schönen, langen Tönen des Mittelteils.
Unsere Interpretation des Sidewalk Blues kombiniert eine Gesangsversion nach einem Text von Walter Melrose mit der "Red Hot Peppers"-Aufnahme vom 21. 9. 1926. So kann Frank seine Blues-Stimme voll zur Geltung bringen.
The Chant gehört zu den Titeln, die während der ersten Studio-Session mit den "Red Hot Peppers" am 15. 9. 1926 in Chicago aufgenommen wurden. Den fanfarenhaften Anfang dieses Stückes könnte man als typisch für Jelly Roll Mortons Lebenshaltung betrachten: Hoppla, jetzt komm' ich ... der Größte. Bei aller Großmäuligkeit, die ihm nachgesagt wurde: Er war es Ende der zwanziger Jahre im Jazz tatsächlich.
Schon 1915 komponierte Morton den Original Jelly Roll Blues. Unser Posaunist Gert, von Haus aus Pianist, tritt auf der vorliegenden CD endlich mal wieder solistisch am Piano in Erscheinung, was leider im Rahmen unserer Band viel zu selten vorkommt. Die Aufnahme zeigt, wie intensiv er sich mit Jelly Rolls Komposition befaßt hat und wie sehr er sich mit dem klassischen Jazz identifiziert.
Daß nur drei Morton-Kompositionen auf der vorliegenden CD den "Blues" im Titelnamen enthalten, ist eher Zufall, heißen doch die meisten Titel von Jelly Roll in irgendeinem Zusammenhang "......Blues". Der Cannon Ball Blues gestattet es, dem Blues-Feeling so richtig freien Lauf zu lassen. Was dieses wunderbare Thema jedoch mit einer Kanonenkugel zu tun hat, wird wohl für immer Jelly Roll Mortons Geheimnis bleiben.
Auch der Black Bottom Stomp wurde bei der ersten Studiosession der "Red Hot Peppers" im September 1926 eingespielt. Bevor wir diesen Titel bei unseren Live-Auftritten ins Programm aufnehmen, geht immer ein fragender Blick an unseren Frank, ob die Finger gerade flink genug sind für das rasante Tempo des sprungreichen Sopransax-Solos. Und ich, der Drummer der Band, massiere mir vor diesem Titel die Finger, um hoffentlich möglichst wenig Holperer am Waschbrett zu fabrizieren.
Duke Ellington spielte in fünf Jahrzehnten etwa 3500 verschiedene Titel ein, viele davon mehrfach. Den Rekord mit 499 Aufnahmen soll "Take The A-Train" halten. Die von uns für die vorliegende CD ausgewählten Titel entstanden zwischen 1926 und 1936, also in einer Zeit, in der Ellington sowohl mit wechselnden Band-Besetzungen als auch solistisch noch um Anerkennung rang. Heute sind die von uns hier eingespielten frühen Kompositionen - und natürlich noch viele andere - wahre Jazz-Evergreens.
East St. Louis Toodle-Oo entstand 1926 und wurde zur ersten Erkennungsmelodie der Band, die sich im genannten Jahre zum ersten Mal "Duke Ellington And His Orchestra" nannte und bis zu Ellingtons Tod unter diesem Namen die Welt eroberte. Wie viele andere Ellington-Titel, hatte das Orchester auch diese Komposition über Jahrzehnte hinweg im Repertoire. Ein Vergleich von frühen und späten Aufnahmen gibt interessante Aufschlüsse über die stilistischen Wandlungen dieses immer wieder schöpferischen Klangkörpers. Uns diente eine Einspielung aus der Mitte der dreißiger Jahre als Vorbild.
The Creeper, in unserer Auswahl die früheste Komposition des Duke, wurde 1926 von "Duke Ellington And His Kentucky Club Orchestra" eingespielt. Der Vergleich mit Titel Nr. 1 ("Grandpa's Spells" von Morton) zeigt deutlich, wie sehr Ellington hier noch in der Tradition des New Orleans Jazz steht.
Obwohl nur ein Jahr später als The Creeper entstanden, kommt Black And Tan Fantasie schon ganz anders daher. Dieser Titel wird in der Jazz-Literatur zusammen mit dem East St. Louis Toodle-Oo immer wieder als typisches Beispiel für den "Jungle Style" angeführt, der sich gegen Ende der zwanziger Jahre durchsetzen konnte und heute allgemein als Erfindung des Ellington-Orchesters gilt. Man sollte jedoch nicht unerwähnt lassen, daß die für den Dschungel-Stil typischen "Growl-Effekte" der Blechbläser auch schon im alten New Orleans zu hören waren.
Jungle Nights In Harlem führt nun das Markenzeichen Ellingtons, den "Jungle Style", schon im Namen des Titels. 1930 komponiert, kam dieses Stück allabendlich im "Cotton-Club" in New York zur Aufführung . Diese Konzerte wurden oft im Rundfunk direkt übertragen und trugen wesentlich zur wachsenden Bekanntheit Ellingtons bei. Welch eine Einheit müssen an jenen Abenden die Musik, der Titel der Komposition, der Musizierstil und nicht zuletzt die Dschungel-ähnliche Ausgestaltung des Clubs gebildet haben!
Die exotisch klingende Einleitung von The Mooche schließt passend an Jungle Nights In Harlem an. Diese 1928 eingespielte Komposition gehört auch zu den Titeln, die in der "Cotton-Club"-Zeit des Ellington-Orchesters entstanden.
Birmingham Breakdown wurde 1926 erstmals von der Ellington-Band aufgenommen. Gert präsentiert hier seine Piano-Solo-Variante dieser nur als Orchester-Titel bekannten Komposition.
Als Caravan 1936 entstand, war der "Ellingtonische" Charakter der Band des Duke schon voll ausgeprägt. Hört man sich chronologisch Aufnahmen des Ellington-Orchesters an, so kann man in dieser Zeit den Übergang vom mehr stampfenden Two-Beat-Jazz zum eher gleichmäßig fließenden Jazz der Swing-Ära nachvollziehen. Unsere dreistimmige Gesangsinterpretation des Stückes hat vermutlich Seltenheitswert.
Seit 1936 entstanden Titel in der Ellington-Band, die Solisten des Orchesters gewidmet waren. Echoes Of Harlem stellt Cootie Williams in den Mittelpunkt, der seit 1929 anstelle des früh verstorbenen Trompeters Bubber Miley in der Band spielte. So wird diese Komposition oft unter dem Namen "Cootie's Concerto" aufgeführt. Unser Trompeter stellt hier die Version "Mannes Concerto" vor.
Das Ellington-Orchester führte akribisch ein "Band Book". Dort ist verzeichnet, daß der 1930 entstandene Titel Rockin' In Rhythm die am häufigsten aufgeführte Komposition der Band ist. Kein Wunder, wurde doch diese Nummer schon kurz nach ihrer Entstehung zu einem der frühen Erfolgshits. Es ist schon genial, wie Ellington mit seinem Orchester, im Improvisationsteil praktisch nur in einer Harmonie bleibend, Spannung aufbaut.
Die Aufnahmen für die vorliegende CD entstanden in 7 Studiositzungen zwischen dem 6. 4. und 4. 7. 2002, meistens an Wochenenden. Nach so einem Studiotag kriecht man förmlich auf dem Zahnfleisch nach Hause. Die Aufnahme eines Titels im Studio ist anstrengender als ein dreistündiges Konzert. Immer dieses: "Oh Gott, bloß nichts falsch machen" kostet sehr viel psychische Kraft. Dazu noch: Erkältete Stimmen, vergessene Slide Whistle, festgefressenes Tubaventil, genervter Trompeter, klirrende Banjosaite, unausgeschlafener Pianist, ins Mikrofon hineinkriechender Posaunist, schwere rechte Hand des Schlagzeugers und Wasser statt Bier, damit die Konzentrationsfähigkeit nicht leidet. Das chinesische Essen von "Martin Pfanne" aus Dresden-Bühlau, das uns ins AMI-Studio neben der Garnisonskirche geliefert wurde, hat uns die Lebensgeister erhalten. Am meisten aufgemuntert hat uns aber Aufnahmechef Hendrik Meyer, dessen einfühlsame, aber zugleich kritisch fordernde Art uns über manch' heikle Situation hinweggeholfen hat. Ein großer Dank der gesamten Band geht an unseren Posaunisten Gert, der die Arrangements verfaßte, beharrlich über viele Jahre sein musikalisches Konzept verfolgte und uns inzwischen zu Morton- und Ellington-Fans formte. Besonders hervorzuheben ist dabei Gerts Leistung, die in der Ellington-Big-Band entstandenen Kompositionen auf die kleine, Old-Time-Jazz-typische Besetzung zu übertragen.
Wir betrachten die Entstehung der vorliegenden CD als Höhepunkt unserer fast 28-jährigen Bandgeschichte, in der wir keinerlei personelle Änderungen zu verzeichnen hatten. Die großen Meister mögen uns verzeihen, daß wir blutigen Amateure uns an ihre Meisterstücke heranwagten, für uns eine an die Grenzen gehende Herausforderung. Aber die Faszination der Kompositionen Mortons und Ellingtons war immer wieder Antrieb. Wir hoffen, daß der Hörer dieser CD unsere Begeisterung und dieses Spannungsfeld spürt.
Dresden, am 14. November 2002, dem Jahr der großen Elbeflut
Lutz Käubler für die Blue Wonder Jazzband Dresden
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